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Grenzgänge – Beispiele künstlerischen Arbeitens über Exil und Entwurzelung | Charlotte Bank | Springerin

2011 

Transnationale und transkulturelle Lebensformen sind eine Realität, die vermutlich im 21. Jahrhundert immer mehr an Be­ deutung gewinnen und für viele Menschen eher zur Norm als zur Ausnahme werden wird. Vielfältige Modelle migratorischer Bewegungen treten zutage, die temporär begrenzt und be­ weglich sind und im Gegensatz stehen zu davor vorherrschenden Formen wie Emigration mit dem Ziel der permanenten Sess­ haftwerdung einerseits und Exil andererseits.

Gleichzeitig haben durch die verstärkte Vernetzung im Zuge der Globalisierung gewohnte Kommunikationswege an Bedeutung verloren; neue sind entstanden, durch die Informa­ tionen in Sekunden das »andere Ende der Welt« erreichen. Menschen verschiedener Kontinente sind somit heute auf viel­ fache Art miteinander virtuell verknüpft, solidarisieren sich mit den Anliegen der anderen und nehmen an deren Leben teil. Jüngstes Beispiel für diese Appropriation globaler Kommuni­ kationssysteme durch neue »WeltbürgerInnen«, die deren akti­ vistisches Potenzial erkannt haben, sind die Protestbewegungen oder Revolutionen in der arabischen Welt. Begriffe wie »Face­ book­Generation« und »Twitter­Revolution« mögen die Bedeu­ tung dieser sozialen Netzwerke innerhalb der Bewegung über­ bewerten, werden sie doch eher zur erleichterten Kommunikation innerhalb schon bestehender Vernetzungen benutzt. Dennoch weisen sie darauf hin, dass sich die jüngeren Generationen in arabischen Ländern bewusst als Teil dieses globalen Netzwerks auffassen, und widerlegen somit in besonderer Deutlichkeit alle orientalistisch geprägten Lesarten der arabischen Welt als unveränderbar, traditionalistisch und statisch.

Die Proteste in Tunesien fanden in den neuen sozialen Netzwerken Erwähnung, lange bevor die etablierten Medien die Bedeutung der Ereignisse erkannten. Internationale Aktivis­ tInnen halfen, Informationen über die Proteste in Ägypten zu verbreiten, als das Internet im Land teilweise vom Regime außer Funktion gesetzt wurde. Mobilität und Austausch über Grenzen hinweg finden vielfach online statt und lassen staatli­ che Hindernisse gegenüber dieser Mobilität wie die gerade für AraberInnen besonders strikten europäischen Visabeschrän­ kungen seltsam anachronistisch anmuten. 

In diesem Kontext stellt sich die Frage, welchen Stellenwert Konzepte wie nationale Zugehörigkeit und kulturelle Identität in Zukunft haben werden. Wurde bisher individuelle und kulturelle Identität meist als unlösbar mit Sprache, Geografie und Ethnizi­ tät verbunden definiert, so erscheint mit den neuen Formen fragmentierter Lebensläufe diese Lesart immer unzeitgemäßer. Die Dekonstruktion essentialistischer Identitätsmodelle und die Verhandelbarkeit von kultureller Identität ist von Theoretikern wie Homi Bhabha und Stuart Hall mit der Formulierung eines »dritten Raumes« verbunden worden, eines Raumes, innerhalb dessen kulturelle Hybridität Ausdruck finden kann. Kulturelle Identität als Gegenstand stetiger Verhandlung scheint den Zu­ sammenhang zwischen dieser und der individuellen Identität zu problematisieren, allerdings lässt die Fähigkeit zur interkultu­ rellen Navigation und Übersetzung unterschiedlicher kultureller Codes, wie sie ein Leben zwischen verschiedenen geogra­ fischen Lokalitäten voraussetzt, die Definition eines solchen »Zwischenraumes« der transkulturellen Erfahrung notwendig erscheinen.

In den Werken vieler sogenannter »ExilkünstlerInnen« werden ebensolche Zwischenräume untersucht. Die palästinen­ sische Künstlerin Emily Jacir, die in New York und Ramallah lebt, drückt dies mit den folgenden Worten aus: »my work is about going back and forth«1. Identität und Zugehörigkeit sind hier nicht konstante Größen, vielmehr Ideen, die Gegenstand ständiger Verhandlung und Hinterfragung sind. Mobilität über­ nimmt dabei die Rolle des identitätsdefinierenden Elements. 

So zeigt Jacirs Zwei­Kanal­Videoinstallation »Ramallah/ New York« (2004) palästinensisches Leben in den zwei Städten anhand von Aufnahmen in Frisiersalons, Reiseagenturen und arabischen Imbissbuden. Sie dokumentieren den Raum zwischen Herkunftsland und Sehnsucht auf der einen Seite und Exil und Überlebensnotwendigkeit auf der anderen, verbunden durch die ständigen Bewegungen zwischen der alten und neuen Heimat. Die zentrale Relevanz von Fragen der Mobilität, deren Verhinde­ rung und Strategien zur Überwindung von Grenzen – seien es politische, soziale und kulturelle – erklärt sich aus der komple­ xen, persönlichen Lebenserfahrung der Künstlerin. In Bethlehem in Palästina geboren, wuchs Jacir in Saudi­Arabien auf und ging in Italien zur Schule, bevor sie in die USA übersiedelte, um Kunst zu studieren.

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