2015
«Es war meine erste Choreografie», sagt der 39-Jährige stolz vor den Bildern, die er 2013 arrangierte. Aber «nein, nur weil ich aus Jerusalem stamme, sind das keine Aufnahmen aus dem Toten Meer». Und noch einmal nein, der Titel «Independence» spiegele keine politische Haltung, etwa die Forderung nach Unabhängigkeit für sein seit 1948 in Okkupation lebendes Volk. Steve Sabella, Sohn einer christlich-ara- bischen Familie, hielt es in Palästina sowieso nicht aus. 2007 ging er ins Exil, zunächst nach London, 2010 weiter nach Berlin. Dort, an der Akademie der Künste, wurde er soeben mit dem Ellen-Auerbach-Preis für Fotografie geehrt.
«Gib deinen Gedanken Freiheit», empfiehlt er. Und lässt einen al- lein mit seinen Fotowerken, die etwas vorstellen, das man fast einen «Widerort» nennen möchte. Es ist nicht Wasser, es ist keine Bühne, nicht mal ein Unort, in dem seine Figuren, ja, was, tanzen?, fliegen?, schwimmen? Es scheint nicht so, als ob ihre Bewegung sie irgendwo- hin bewegen würde. Vielleicht denkt man deshalb an Tanz. Und wie- der nicht, weil es aussieht, als würden ihre Bewegungen sie auch nicht selbst bewegen. Ein Ort, der Bewegung derart infrage stellt, hat es verdient, ein Widerort genannt zu werden. Palästina, voller Menschen ohne Pass, ein x-fach geteiltes Land, dessen Mehrheit außer Landes lebt, ist solch ein Widerort. Einst reichten dort ein paar Kakteen, um ein Territorium zu markieren. Heute ist es durchzogen von Mauern und Zäunen – Widerspruch zu einer arabischen Kultur, die anders als die europäische vor allem nomadisch geprägt war.
Man erkennt es am Licht, oder eher: am Widerlicht auf Sabellas Bildern. Anders als die gemeine Interpretation, der Islam verschließe durch ein Bilderverbot die Augen vor der Schöpfung, ist das Licht bei ihm – dem Christen – ebenso zerstreut, wie es schon im 11. Jahrhundert der altarabische Optiker und Mathematiker Alhazen verkündet hat: Das Licht sucht keine Bilder, heißt es in seinen Schriften. Die Sonne leuch- tet nicht, damit du deinen Besitz betrachten kannst. Die Reflexion der Farben ist nicht mal das Abbild der physischen Realität (schlicht, weil sie auch nachts existiert). Deshalb galt Alhazens Augenmerk nicht der täuschenden Kopie des Wirklichen, sondern der weiten Landschaft, die in gelenkten Lichtreflexen gleichsam eine Arabeske vollführt: schwin- gende Zierde, die sich als gestrecktes Bein im Ballett später ebenso als Arabesque etablieren konnte wie in der reichen Ornamentik der arabischen Bild- und Schriftkunst. Geometrie, Arithmetik, der Lauf der Sterne, all das kam für die Nomaden vor genau 1000 Jahren einem Bild der Schöpfung weitaus näher als jede kunstgerechte Anmutung eines bloß wieder erkennbaren Realismus.
Sabellas Zyklus «Independence» aus insgesamt neun Bildern zeigt ausschließlich durch Streulicht und Lichtreflexe bewegte Körper. Nur durch Licht und Kontur entsteht die Bewegung – nicht durch Arbeit, wie es die westliche Physik definiert. Bewegung ist eine Spielart des Lichts, also genau das, was der Westen als eine Täuschung, als Fata Morgana bezeichnen würde.
In den Weiten und Wüsten des Orients sieht man dies genau anders- herum: Die eigene Bewegung ist unendlich winzig im Vergleich zu den rasenden Strahlen der Sonne, die sich, auch das hat Alhazen als Erster erkannt, in der Atmosphäre brechen, in den Regentropfen, in den Bergen, im menschlichen Auge. Und in der Fotokunst von Steve Sabella.
Der Werkkatalog «Steve Sabella, Photography 1997–2014» mit einem Essay von Hubertus von Amelunxen ist soeben erschienen bei hatjecantz.de
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