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Steve Sabella: In Exile Folgen mentalen und physischen Exils im fotografischen Werk des palästinensischen Künstlers | Charlotte Bank | Nafas

2010 

Wie sich der Zustand des Exils auf die menschliche Psyche auswirkt, ist ein immer wiederkehrendes Thema palästinensischer Autoren, allen voran Edward Saïd. Auch Mourid Barghouti hat in seinem Roman über Rückkehr und Exil Ich sah Ramallah geschrieben: "Ich lebe nicht an einem Ort. Ich lebe in einer Zeit, in den Bruchstücken meiner Psyche, in einer Sensibilität, die mir allein eigen ist".
Dieses Gefühl der Fragmentierung der eigenen Psyche, das akribische Auseinandernehmen der eigenen mentalen Wunden, des "mentalen Exils", hat der junge palästinensische Künstler Steve Sabella zum Gegenstand seiner Kunst gemacht. In den großformatigen Fotocollagen seines Projektes In Exile zeigt er Bruchstücke geschlossener Fenster, die sowohl Ausblicke wie Einblicke bieten und für die er 2008 den Ellen Auerbach Preis der Akademie der Künste in Berlin erhielt. In der aktuellen Ausstellung Junge Akademie 2010 werden die fünf Arbeiten gezeigt.
Steve Sabella stammt aus der Jerusalemer Altstadt, wo er 1975 geboren wurde. Die kontinuierlichen Konflikte sowie die vielen überlappenden und widersprüchlichen Narrative seiner Heimatstadt und die Vereinnahmung ihres Symbolwertes durch die unterschiedlichsten Gruppierungen ließen in dem Künstler früh das Gefühl aufkommen, keinen Raum zu haben für eigene Lesarten, für ein eigenes Selbst. Wie er selbst äußerte, empfand sich Sabella im Exil, noch bevor er physisch im Exil lebte. Dieses Gefühl war auch für seine Kunst prägend und veranlasste Kamal Boullata, Steve Sabella als "Exilkünstler" zu definieren, obwohl er zu jener Zeit noch in seiner Geburtsstadt lebte.
Dem mentalen Exil folgte 2007 das physische Exil in London, wo die künstlerische Auseinandersetzung mit den schon immer vorhandenen Gefühlen der Entfremdung eine neue, komplexere Gestalt annahm. Die Fenster, die in den Arbeiten von In Exile aus multiplen Perspektiven gezeigt werden, sind Ansichten aus der Umgebung des Wohnortes des Künstlers. Die Symbolik ist hier gezielt vielschichtig. Die Fenster geben Ausblicke, lassen hoffen, scheinen die verschiedensten Sichtwinkel zuzulassen, bleiben aber doch geschlossen und lassen den Betrachter gleichsam als unbeteiligten Beobachter außen vor. Das Leben spielt sich vor dem Fenster ab, der Zugang dazu bleibt aber versperrt. Der Künstler scheint hier gefangen in der ewigen Suche nach dem eigenen Selbst im Mosaik seiner mentalen Landschaft. Er zieht den Betrachter in verstörende Ansichten hinein und nimmt ihm das Gleichgewicht und die Sicherheit. Er dekonstruiert das Vertraute, um es neu zusammenzusetzen und schafft somit eine neue Konstellation der Wirklichkeit, die Parallelen zu den Erfahrungen eines immerwährenden Exils herstellt.
Diese verwinkelten Wege durch die eigene Psyche führten den Künstler zu den Wurzeln seiner Wunden und ließen ihn die Möglichkeit einer Heilung erahnen. Während das Zerstörerische einer Entwurzelung im Zentrum von In Exile stand, rückt in der neuesten Arbeit Sabellas eine Loslösung und Befreiung in den Vordergrund. Euphoria (2010) bezieht sich auf das euphorische Gefühl der Befreiung aus mentalen Fesseln. Dieses, wie der Künstler selbst einräumt, möglicherweise kurzlebige Gefühl, drückt sich in spielerisch anmutenden, entwurzelten Bäume aus. In dieser Arbeit, in der Bezüge zum Werk von M.C. Escher wie auch zur geometrischen Ornamentik der klassischen islamischen Kunst anklingen, fügen sich filigrane Bäume auf den ersten Blick mühelos in ein Ganzes. Auf den zweiten Blick lassen sich allerdings Bruchstellen erkennen, Die einzelnen Bildteile treten aus der Montage hervor, erscheinen auf einmal wie ein zerbrochener Spiegel, und vielleicht ist dies ein Hinweis darauf, dass der mentale Konflikt offenbar noch nicht ausgestanden ist und das die Euphorie nicht von Dauer sein kann.
Natur und Gewächse waren das Thema einer früheren Arbeit Sabellas. In Search (1997) begab sich der Künstler mit Hilfe von Infrarotfotografie auf die Suche nach einer neuen Dimension jenseits der wahrnehmbaren Welt. Damals blieben die Pflanzen noch mit der Erde verbunden, schien der Boden noch der Ausgangspunkt einer jeden Suche zu sein. Jetzt, nachdem die Erfahrungen mit dem physischen Exil zur früheren Empfingung eines mentalen Exils hinzugekommen ist und es der Künstler eigenen Aussagen zufolge geschafft hat "die Bestandteile seiner Selbst zusammenzukleben", erscheint Steve Sabella befreit, schwebend, den neuen Zustand seiner Euphorie genießend und zugleich geradezu verwundert beobachtend.

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